Kapitel 14: Spätere englische Reformatoren
Während Luther dem deutschen Volk die Bibel erschloß, wurde
Tyndale vom Geist Gottes angetrieben, das gleiche für England zu
tun. Wiklifs Bibel war aus dem lateinischen Text übersetzt worden,
der viele Irrtümer enthielt. Man hatte sie nie gedruckt; und der Preis
eines geschriebenen Exemplars war so hoch, daß außer den Reichen
oder Adligen nur wenige sie sich verschaffen konnten. Da die Kir-
che sie überdies aufs schärfste geächtet hatte, war diese Ausgabe
nur verhältnismäßig wenig verbreitet. Im Jahre 1516, ein Jahr vor
Luthers Thesenanschlag, hatte Erasmus seine griechische und la-
teinische Fassung des Neuen Testaments veröffentlicht, und damit
wurde das Wort Gottes zum erstenmal in der Ursprache gedruckt.
In diesem Werk sind viele Irrtümer der früheren Fassungen berich-
tigt und der Sinn deutlicher wiedergegeben. Dies führte viele der
gebildeten Klassen zu einem besseren Verständnis der Wahrheit und
gab den reformatorischen Bestrebungen neuen Auftrieb. Doch den
meisten Menschen aus dem gewöhnlichen Volk war das Wort Gottes
noch immer unzugänglich. Tyndale sollte Wiklifs Werk vollenden
und seinen Landsleuten die Bibel geben.
Als eifriger Schüler, der ernstlich nach Wahrheit suchte, hat-
te er das Evangelium aus dem griechischen Neuen Testament des
Erasmus empfangen. Furchtlos predigte er seine Überzeugung und
drang darauf, alle Lehren durch das Wort Gottes zu prüfen. Auf die
päpstliche Behauptung, daß die Kirche die Bibel gegeben habe und
sie allein erklären könne, sagte Tyndale: „Wer hat denn den Adler
gelehrt, seine Beute zu finden? Derselbe Gott lehrt seine hungrigen
Kinder ihren Vater in seinem Worte finden. Nicht ihr habt uns die
Schrift gegeben, vielmehr habt ihr sie uns vorenthalten; ihr seid es,
die solche verbrennen, die sie predigen, ja ihr würdet die Schrift
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selbst verbrennen, wenn ihr könntet.
Tyndales Predigten machten großen Eindruck; viele nahmen
die Wahrheit an. Aber die Priester waren auf der Hut, und sobald
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D‘Aubigné, „Geschichte der Reformation“, 18.Buch, 4.Abschnitt
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