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Der große Kampf
erklärte im Sterben: „Jetzt hat die Wut der Feinde die Oberhand über
uns, aber es wird nicht für immer sein; es wird sich einer aus dem
gemeinen Volk erheben, ohne Schwert und Autorität, gegen den sie
nichts vermögen werden.
Luthers Zeit war noch weit entfernt; aber
schon trat einer auf, dessen Zeugnis gegen Rom die Völker bewegen
sollte.
Jan Hus war von geringer Herkunft und wurde durch den Tod
seines Vaters frühzeitig Halbwaise. Seine fromme Mutter, die eine
Erziehung in der Furcht Gottes als das wertvollste Besitztum ansah,
wollte ihrem Sohn dieses Erbgut vermitteln. Hus besuchte erst die
Kreisschule und begab sich dann auf die Universität in Prag, wo
man ihm eine Freistelle gewährte. Seine Mutter begleitete ihn auf
der Reise. (Siehe Anm. 021) Da sie arm und verwitwet war, konnte
sie ihrem Sohn keine weltlichen Güter mitgeben; doch als sie sich
der großen Stadt näherten, kniete sie mit dem vaterlosen Jüngling
nieder und erflehte für ihn den Segen ihres himmlischen Vaters. Wie
wenig ahnte diese Mutter, auf welche Weise ihr Gebet erhört werden
sollte!
Auf der Universität zeichnete sich Hus bald durch seinen uner-
müdlichen Fleiß und seine raschen Fortschritte aus. Sein tadelloser
Wandel und sein freundliches, liebenswürdiges Betragen erwarben
ihm allgemeine Achtung. Er war ein aufrichtiger Anhänger der römi-
schen Kirche, und ihn verlangte ernstlich nach dem von ihr verspro-
chenen Segen. Anläßlich einer Jubiläumsfeier ging er zur Beichte,
gab seine letzten wenigen Geldstücke hin, die er besaß und schloß
sich der Prozession an, damit er der verheißenen Absolution teil-
haftig würde. Nachdem er seine Studien vollendet hatte, trat er in
den Priesterstand, in dem er rasch zu Ehren kam und bald an den
königlichen Hof gezogen wurde. Auch wurde er zum Professor und
später zum Rektor (Siehe Anm. 022) der Universität ernannt, an der
er studiert hatte. In wenigen Jahren war der bescheidene Freischüler
der Stolz seines Vaterlandes geworden, und sein Name wurde in
ganz Europa berühmt.
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Auf einem andern Gebiet jedoch begann Hus das Werk der Er-
neuerung. Einige Jahre nach Empfang der Priesterweihe wurde er
zum Prediger an der Betlehemskapelle ernannt. Der Gründer dieser
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Comenius, „Hist. Pers. Eccl. Bohem.“ 20; Wylie, ebd., 3.Buch, Kapitel 3