Der Reformator der Schweiz
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Macht völliger erfahren. Der Sündenfall und der Erlösungsplan wa-
ren die Themen, mit denen er sich beschäftigte. Er schrieb: „In Adam
sind wir alle tot und in Verderbnis und Verdammnis versunken“, aber
Christus ist „wahrer Mensch gleichwie wahrer Gott und ein ewig
währendes Gut“. „Sein Leiden ist ewig gut und fruchtbar, tut der
göttlichen Gerechtigkeit in Ewigkeit für die Sünden aller Menschen
genug, die sich sicher und gläubig darauf verlassen.“ Doch lehrte er
deutlich, daß es den Menschen unter der Gnade Christi nicht frei-
stehe, weiterhin zu sündigen. „Siehe, wo der wahre Glaube ist (der
von der Liebe nicht geschieden), da ist Gott. Wo aber Gott ist, da
geschieht nichts Arges ... da fehlt es nicht an guten Werken.
Zwinglis Predigten erregten solches Aufsehen, daß das Groß-
münster die Menge nicht fassen konnte, die ihm zuhören wollte.
Nach und nach, wie sie es aufnehmen konnten, öffnete er seinen Zu-
hörern die Wahrheit. Er war sorgfältig darauf bedacht, nicht gleich
am Anfang Lehren einzuführen, die sie erschrecken und die Vorurtei-
le erregen würden. Seine Aufgabe hieß, ihre Herzen für die Lehren
Christi zu gewinnen, sie durch dessen Liebe zu erweichen und ihnen
dessen Beispiel vor Augen zu halten. Nähmen sie die Grundsätze
des Evangeliums an, schwänden unvermeidlich ihre abergläubischen
Begriffe und Gebräuche.
Schritt für Schritt ging die Reformation in Zürich vorwärts.
Schreckensvoll erhoben sich ihre Feinde zu tatkräftigem Wider-
stand. Ein Jahr zuvor hatte der Mönch von Wittenberg in Worms
Papst und Kaiser sein „Nein“ entgegengehalten, und nun schien in
Zürich alles auf ein ähnliches Widerstreben gegen die päpstlichen
Ansprüche hinzudeuten. Zwingli wurde wiederholt angegriffen. In
den päpstlichen Kantonen wurden von Zeit zu Zeit Jünger des Evan-
geliums auf den Scheiterhaufen gebracht, doch das genügte nicht;
der Lehrer der Ketzerei mußte zum Schweigen gebracht werden.
Deshalb sandte der Bischof von Konstanz drei Abgeordnete zu dem
Rat zu Zürich, die Zwingli anklagten, er lehre das Volk, die Geset-
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ze der Kirche zu übertreten, und gefährde so den Frieden und die
Ordnung des Volkes. Sollte aber die Autorität der Kirche unberück-
sichtigt bleiben, so träte ein Zustand allgemeiner Gesetzlosigkeit
ein. Zwingli antwortete: „Ich habe schon beinahe vier Jahre lang das
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Zwingli, Bd. I, Art. 5, 182f
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