Seite 167 - Der gro

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Luther vor dem Reichstag
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ihren Zorn fühlen zu lassen und ihn zu Tode zu martern. Aber Luther,
der die ihm drohende Gefahr begriff, hatte zu allen in christlicher
Würde und Gelassenheit gesprochen. Seine Worte waren frei von
Stolz, Leidenschaft oder Täuschung gewesen. Er hatte sich selbst und
die großen Männer, die ihn umgaben, aus den Augen verloren und
fühlte nur, daß er in der Gegenwart Gottes war, der unendlich erhaben
über Päpsten, Prälaten, Königen und Kaisern thront. Christus hatte
durch Luthers Zeugnis mit einer Macht und Größe gesprochen, die
für den Augenblick Freunden und Feinden Ehrfurcht und Erstaunen
einflößte. Der Geist Gottes war in jener Versammlung gegenwärtig
gewesen und hatte die Herzen der Großen des Reiches ergriffen.
Mehrere Fürsten anerkannten offen die Gerechtigkeit der Sache
Luthers.
Viele waren von der Wahrheit überzeugt; bei einigen jedoch
dauerte dieser Eindruck nicht lange an. Andere hielten mit ihrer Mei-
nung zurück, wurden aber später, nachdem sie die Heilige Schrift
für sich selbst durchforscht hatten, furchtlose Anhänger der Refor-
mation.
Der Kurfürst Friedrich von Sachsen hatte mit großer Besorgnis
dem Erscheinen Luthers vor dem Reichstag entgegengesehen und
lauschte jetzt tief bewegt seiner Rede. Mit Stolz und Freude sah
er den Mut, die Entschiedenheit und die Selbstbeherrschung des
Doktors und nahm sich vor, ihn entschiedener als je zu verteidigen.
Er verglich die streitenden Parteien und erkannte, daß die Weisheit
der Päpste, der Könige und Prälaten durch die Macht der Wahrheit
zunichte gemacht worden war. Diese Niederlage des Papsttums
sollte unter allen Nationen und zu allen Zeiten fühlbar sein.
Als der Legat die Wirkung der Rede Luthers wahrnahm, fürch-
tete er wie nie zuvor für die Sicherheit der römischen Macht, und
er entschloß sich, alle ihm zu Gebote stehenden Mittel anzuwen-
den, um den Untergang des Reformators herbeizuführen. Mit all
der Beredsamkeit und dem diplomatischen Geschick, das ihn in so
hohem Grade auszeichnete, stellte er dem jugendlichen Kaiser die
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Torheit und die Gefahr dar, wegen eines unbedeutenden Mönches
die Freundschaft und Hilfe des mächtigen Rom zu opfern.
Seine Worte blieben nicht wirkungslos. Schon am nächsten Tag
ließ Kaiser Karl den Reichsständen seinen Beschluß melden, daß er
nach der Weise seiner Vorfahren fest entschlossen sei, ihren Glauben