Luther vor dem Reichstag
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schlossener Feind des Reformators war, verlieh seinen Worten desto
mehr Nachdruck.
Wären den Versammelten die Augen geöffnet worden, so hätten
sie Engel Gottes in ihrer Mitte erblickt, die durch die Finsternis des
Irrtums Strahlen des Lichts aussandten und Gemüter und Herzen
der Wahrheit öffneten. Selbst die Gegner der Reformation zeigten
sich von der Macht des Gottes der Wahrheit und Weisheit beeinflußt,
und auf diese Weise wurde der Weg für das große Werk bereitet, das
nun vollbracht werden sollte. Martin Luther war nicht anwesend,
aber man hatte eine einflußreichere Stimme als die Luthers in jener
Versammlung gehört.
Sofort wurde vom Reichstag ein Ausschuß bestimmt, um eine Li-
ste der päpstlichen Mißbräuche aufzustellen, die so schwer auf dem
deutschen Volk lasteten. Dieses Verzeichnis, das 101 Beschwerden
enthielt, wurde dem Kaiser mit dem Gesuch unterbreitet, sofortige
Schritte zur Beseitigung dieser Mißbräuche zu unternehmen. „Es
gehen so viele Seelen verloren“, sagten die Bittenden, „so viele Räu-
bereien, Bestechungen finden statt, weil das geistliche Oberhaupt
der Christenheit sie gestattet. Es muß dem Untergang und der Schan-
de unseres Volkes vorgebeugt werden. Wir bitten euch untertänigst
und inständigst, dahin zu wirken, daß eine Besserung und gemeine
Reformation geschehe.
Die Reichsstände drangen auf das Erscheinen Luthers. Unge-
achtet aller Bitten, Einwände und Drohungen Aleanders willigte
der Kaiser schließlich doch ein, und Luther wurde aufgefordert, vor
dem Reichstag zu erscheinen. Mit der Aufforderung wurden ihm die
nötigen Geleitsbriefe ausgestellt, die ihm auch seine Rückkehr nach
einem sicheren Ort verbürgten
Ein Herold, der beauftragt war, ihn
sicher nach Worms zu geleiten, brachte die Briefe nach Wittenberg.
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Luthers Freunde wurden von Schrecken und Bestürzung ergrif-
fen. Sie kannten das Vorurteil und die gegen ihn herrschende Feind-
schaft und befürchteten, selbst das Sicherheitsgeleit würde nicht
beachtet werden, und sein Leben sei gefährdet. Auf ihr Bitten, diese
Reise nicht anzutreten, erwiderte er einem, die Römlinge wollten ihn
nicht in Worms sehen, doch „ich schreibe auch jetzt und bitte dich,
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Kap. „Nachlese reformatorischer Urkunden“, Bd. III. 275
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Der Kurfürst von Sachsen und Herzog Georg von Sachsen sowie auch der Kaiser
stellten Geleitsbriefe aus.