Seite 700 - Der gro

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Der große Kampf
bei. Die Kritik macht es sich einfach, wenn sie sich unhistorisch
auf den Boden des liberalen Staatsdenkens stellt. Das Mittelalter
dachte anders, es nahm vor allem die Einheit von Staat und Kirche
als vorgegeben hin. Die Staatskirche verfolgte deshalb natürlicher-
weise die kirchlichen Delikte genauso wie die weltlichen; stellte
doch ein Angriff auf die Religion zugleich einen Angriff auf den
Staat dar. Die Verfolgung des Religionsdeliktes war dem Mittelal-
ter also eine Selbstverständlichkeit. Es ist weiter natürlich, daß die
Inquisition sich der zeitgenössischen Mittel der Strafverfolgung be-
diente, und es muß auch darauf hingewiesen werden, daß ihr genau
überliefertes Verfahren z.T. mit großem Ernst und juristischer Ge-
wissenhaftigkeit durchgeführt wurde (so z.B. das gegen Hus). Nicht
die Inquisition als solche, sondern die Auswüchse, zu denen diese
Institution unter den verschiedensten politischen und soziologischen
Einflüssen führte, könnten vom historischen Standpunkt aus kriti-
siert werden. Und selbst unter diesem Gesichtspunkt wird man nicht
die Inquisition verdammen können, ohne das Mittelalter und die Re-
naissance überhaupt verurteilen zu müssen. Eine echte Beurteilung
und vielleicht Verurteilung der Inquisition kann nicht auf histori-
scher, sondern allein auf religionsphilosophischer Ebene erfolgen.
Es geht um die Frage, ob die Kirche das Recht oder sogar die Pflicht
hat, den irrenden Bruder um seiner Seligkeit und des Bestandes der
heiligen Kirche willen notfalls mit Gewalt zu überzeugen. Kann der
Rechtgläubige weiter so viel göttliche Erkenntnis und Erleuchtung
beanspruchen, daß er die Autorität erhält, den ‚hartnäckigen Ketzer‘
aus der kirchlichen und menschlichen Gemeinschaft auszustoßen?
Fordert die Liebe zu dem irrenden Mitchristen Tolerierung oder
Züchtigung? So gesehen ist die Frage der Inquisition eine dauernd
aktuelle Frage.“ (Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd.
III, Tübingen, 1959, Sp. 774.775.)
In Deutschland verschwand die Inquisition unmittelbar nach der
Reformation. Spanien hob sie erst 1834 auf, Italien 1859, Frankreich
1772.
1542 wurde die Inquisition reorganisiert und erhielt den Namen
Sacra Congregatio Romana (Heiliges Offizium). Als oberste Instanz
in Glaubenssachen besteht die Inquisition noch heute. Über die Rein-
heit des katholischen Glaubens wacht sie als Kardinalskongregation
des heiligen Offiziums (Congregatio sancti Officii).