Luther vor dem Reichstag
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zu bewahren oder um ihm für jene wichtigen Aufgaben eine Zeit-
lang Ruhe zu verschaffen. Köstlichere Erfolge als diese sollten
erzielt werden. In der Einsamkeit und Verborgenheit seiner bergigen
Zufluchtsstätte war Luther allen irdischen Stützen fern und ohne
menschlichen Lobpreis. Somit blieb er vor Stolz und dem Auf-sich-
selbst-Verlassen bewahrt, die so oft durch Erfolg verursacht werden.
Durch Leiden und Demütigung wurde er vorbereitet, wiederum si-
cher die schwindelnden Höhen zu betreten, zu denen er so plötzlich
erhoben worden war.
Wenn Menschen sich der Freiheit erfreuen, welche die Wahrheit
ihnen bringt, sind sie geneigt, die zu verherrlichen, deren sich Gott
bedient, um die Ketten des Irrtums und des Aberglaubens zu bre-
chen. Satan versucht, der Menschen Gedanken und Neigungen von
Gott abzuwenden und auf menschliche Werkzeuge zu richten. Er
veranlaßt sie, das bloße Werkzeug zu ehren und die Hand, die alle
Ereignisse der Vorsehung leitet, unbeachtet zu lassen. Nur zu oft
verlieren religiöse Verantwortungsträger, die auf diese Weise geprie-
sen und verehrt werden, ihre Abhängigkeit von Gott aus den Augen
und verlassen sich auf sich selbst. Sie suchen dann die Gemüter
und Gewissen des Volkes zu beherrschen, das eher bereit ist, auf sie,
statt auf das Wort Gottes zu sehen. Das Werk einer Umgestaltung
wird oft gehemmt, weil dieser Geist von ihren Anhängern genährt
wird. Vor dieser Gefahr wollte Gott die Reformation bewahren. Er
wünschte, dieses Werk solle sein Gepräge nicht durch Menschen,
sondern durch ihn selbst erhalten. Die Augen der Menschen hatten
sich auf Luther, den Ausleger der Wahrheit, gewandt; dieser trat nun
zurück, damit sich all unser Schauen auf den Einen richten kann, in
dem die Wahrheit gegründet ist.
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