Seite 163 - Der gro

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Luther vor dem Reichstag
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Als er wieder vor den Reichstag geführt wurde, war sein Ange-
sicht frei von Furcht und Verlegenheit. Ruhig und friedvoll, dennoch
mutig und edel stand er als Gottes Zeuge unter den Großen der Erde.
Der kaiserliche Beamte verlangte nun die Entscheidung, ob er gewillt
sei, seine Lehren zu widerrufen. Luther gab die Antwort in einem
unterwürfigen und bescheidenen Ton ohne Heftigkeit oder Erregung.
Sein Benehmen war maßvoll und ehrerbietig; dennoch offenbar-
te er eine Zuversicht und eine Freudigkeit, die die Versammlung
überraschte.
Seine Antwort lautete: „Allerdurchlauchtigster, großmächtigster
Kaiser, durchlauchtigste Fürsten, gnädigste und gnädige Herren! Auf
die Bedenkzeit, mir auf gestrigen Abend ernannt, erscheine ich ge-
horsam und bitte durch die Barmherzigkeit Gottes Eure Kaiserliche
Majestät um Gnaden, daß sie wollen, wie ich hoffe, diese Sachen
der Gerechtigkeit und Wahrheit gnädiglich zuhören, und so ich von
wegen meiner Unerfahrenheit ... wider die höfischen Sitten handle,
mir solches gnädig zu verzeihen als einem, der nicht an fürstlichen
Höfen erzogen, sondern in Mönchswinkeln aufkommen.
Dann zu der ihm aufgegebenen Frage übergehend, erklärte er,
daß seine Bücher nicht einerlei Art seien. Einige behandelten den
Glauben und die guten Werke, so daß auch seine Widersacher sie
für nützlich und unschädlich anerkannt hätten. Diese zu widerrufen,
wäre ein Verdammen der Wahrheiten, die Freunde und Feinde zu-
gleich bekennen. Die zweite Art bestände aus Büchern, welche die
Verderbtheiten und Übeltaten des Papsttums darlegten. Diese Werke
zu widerrufen, würde die Gewaltherrschaft Roms nur stärken und
vielen und großen Gottlosigkeiten die Tür noch weiter öffnen. In
der dritten Art seiner Bücher habe er einzelne Personen angegriffen,
die bestehende Übelstände verteidigt hätten. Im Hinblick auf diese
Bücher bekenne er, heftiger gewesen zu sein, als es sich gezieme. Er
beanspruche keineswegs, fehlerfrei zu sein. Aber auch diese Bücher
könne er nicht widerrufen, denn dann würden die Feinde der Wahr-
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heit nur noch kühner werden und das Volk Gottes mit noch größerer
Grausamkeit als bisher unterdrücken wollen.
„Dieweil aber ich ein Mensch und nicht Gott bin, so mag ich
meine Büchlein anders nicht verteidigen, denn mein Herr Jesus Chri-
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Luther, EA, LXIV, 378