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Kapitel 35: Bestrebungen des Papsttums
Die Protestanten stehen gegenwärtig den Erscheinungsformen
der römisch-katholischen Welt wohlwollender gegenüber als in den
früheren Jahren. In den Ländern, in denen der Katholizismus nicht
im Zunehmen begriffen ist und die Päpstlichen eine versöhnliche
Haltung einnehmen, um Einfluß zu gewinnen, herrscht eine wachsen-
de Gleichgültigkeit gegenüber den Lehren, die die protestantischen
Kirchen von der päpstlichen Hierarchie trennen. Es setzt sich immer
mehr die Ansicht durch, daß wir in den wichtigsten Punkten nicht so
weit auseinandergehen, wie vermutet wurde, und daß uns ein gerin-
ges Zugeständnis in ein besseres Verhältnis zu Rom bringen werde.
Es gab eine Zeit, da die Protestanten hohen Wert auf die Gewis-
sensfreiheit legten, die so teuer erkauft worden war. Sie lehrten ihre
Kinder, das Papsttum zu verabscheuen und waren der Auffassung,
daß es der Untreue gegen Gott gleichkäme, nach Übereinstimmung
mit Rom zu streben. Wie weit weicht die Gesinnung davon ab, die
sich heute kundtut.
Die Verteidiger des Papsttums erklären, daß ihre Kirche ver-
leumdet worden sei; und die protestantische Welt ist geneigt, diese
Erklärung anzunehmen. Viele machen geltend, daß es ungerecht sei,
die römische Kirche der Neuzeit nach den Greueln und Absurditäten
zu richten, die ihre Herrschaft während der Jahrhunderte der Unwis-
senheit und der Finsternis kennzeichneten. Sie entschuldigen ihre
entsetzliche Grausamkeit mit der Roheit der Zeiten und behaupten,
daß die Einflüsse der modernen Kultur ihre Gesinnung gewandelt
hätten.
Haben diese Menschen den Anspruch auf Unfehlbarkeit ver-
gessen, der 800 Jahre lang von dieser anmaßenden Macht geltend
gemacht wurde? Weit davon entfernt, diesen Anspruch fahren zu
lassen, wurde er im 19. Jahrhundert mit größerer Bestimmtheit be-
stätigt als je zuvor. Wenn Rom behauptet, daß die Kirche nie geirrt
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habe und auf Grund der Heiligen Schrift nie irren werde, (Siehe
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